Allgemein
Wandermarionettentheater in Sachsen –
vor hundert Jahren ein Massenmedium
Zur Geschichte:
Quelle: Dr. Olaf Bernstengel - Theaterwissenschaftler
Lars Rebehn - Historiker u. Konservator der staatl. Kunstsammlungen /
Puppentheatersammlung Dresden
Kurt Dombrowsky - Theaterprinzipal und Marionettenspieler
Vor hundert Jahren war Sachsen eines der Wirtschaftszentren des Deutschen Reiches. Sachsen hatte die höchste Bevölkerungsdichte und den höchsten Anteil an der gewerblichen Produktion. Trotz großer sozialer Unterschiede, galt Sachsen als ein wohlhabendes Land. Das war die Blütezeit des sächsischen Wandermarionettentheaters.
Um 1900 reisten in Sachsen etwa 150 Wandermarionettentheater.
In Sachsen lebten damals rund zwei Drittel der Bevölkerung in kleinen Städten und oftmals sehr großen, industriell geprägten Dörfern. Während in den Großstädten das Schauspiel mit Menschen dominierte, waren es auf dem Lande die Marionettenspieler, die den Menschen das Theater näher brachten.
Statistisch gesehen, bedeutet das, daß in allen Sälen der Landgasthöfe Sachsens, jährlich einmal ein Marionettentheater ein Gastspiel von 10 bis 30 Vorstellungen gab. Mit ihren hölzernen Schauspielern und ihren 50 bis 70 Inszenierungen (ausschließlich für Erwachsene), die diese Theater im Allgemeinen im Repertoire hatten, waren die Wanderbühnen eine echte Theateralternative für die Landbevölkerung und wurde von dieser über Jahrzehnte als solche angenommen.
Zwei Weltkriege und eine Weltwirtschaftskrise sowie die Erfindung des Kinos, führten im Laufe des vergangenen Jahrhunderts zu einem Rückgang dieser Theaterform. So waren nach 1945, im heutigen Mitteldeutschland, noch rund 50 solcher Theater unterwegs.
Die Kulturpolitik der DDR führte jedoch rasch zu einer weiteren drastischen Reduzierung. Private Familientheater, im sozialistischen Staat ein Anachronismus, wurden kurzerhand verboten. Als man sich dann, in den achtziger Jahren, auf sein kulturelles Erbe besann, war es fast zu spät.
1989 existierten auf dem Gebiet der DDR lediglich noch zwei von ehemals mehr als 150 solcher traditionellen Marionettentheater.
Eines davon, das Wandermarionettentheater von Max Kressig, das seit 1953 von Kurt und Roswitha Dombrowsky geführt wurde.
Das Wandermarionettentheater der Familie
Kressig/ Dombrowsky
Als Sohn einer Seiltänzer- und Puppenspielerfamilie gründete, Max Kressig im Jahr 1900, sein Marionettentheater, welches er mit seiner Frau Elisabeth, geb. Sterl, nach der Hochzeit 1908 wesentlich erweiterte und vervollkommnete.
Durch eine Behinderung vom Kriegsdienst verschont, konnte er das Theater bei guter Geschäftslage bald zu einer der bedeutendsten und bestausgestattetsten Wanderbühnen Sachsens ausbauen. 1951 zwang ihn die Kulturpolitik der DDR den Theaterbetrieb einzustellen.
Mit List und Enthusiasmus gelang die Wiedereröffnung des Theaters 1953 durch die Enkelin Roswitha und deren Ehemann Kurt Dombrowsky.
Gemeinsam führten sie das Wandermarionettentheater durch die komplizierte Zeit der sozialistischen Kulturpolitik, die diese Theaterform zunächst ablehnte. Doch das harte Ringen hat sich gelohnt, die Akzeptanz wurde erkämpft und spiegelte sich in Einladungen zu Theaterfestivals in Magdeburg, Berlin, Bielsko-Biala (Polen), Dessau (Bauhaus), Dresden (UNIMA- Festival), München, Vaasa (Finnland) und Mistelbach (Österreich) wieder.
Das Tourneegebiet war überwiegend Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg. So fuhren Roswitha und Kurt Dombrowsky mit ihren Wohn- und Packwagen von Ort zu Ort und gaben in nahezu 500 Gastspielorten 9866 Vorstellungen.
1993 wurde das 40- jährige Bestehen mit einem Gastspiel und einer großen Ausstellung begangen.
Im Herbst 1994 gaben Roswitha und Kurt Dombrowsky in Dresden ihre letzte Vorstellung.
Da ihre drei Kinder alle bereits mit eigenen, kleineren Bühnen arbeiteten, wurde das elterliche „große“ Marionettentheater verkauft.
Von seinem jetzigen Besitzer, dem Theatersammler Markus Link, dankenswerterweise zur Verfügung gestellt, befindet sich die Marionettenbühne jetzt in der Obhut der Theaterkompanie „ HOLZOPER“ Frankenberg/ Sa.